Kosmogonie von Hermopolis

von Frauke Pumpenmeier

Die Vorstellungswelten des antiken Ägyptens kannten im Gegensatz zur Bibel keinen einheitlichen Schöpfungsmythos, sondern eine ganze Reihe von Kosmogonien, also Geschichten über den Ursprung des Universums. Diese Kosmogonien werden mit verschiedenen Orten assoziiert, die drei bekanntesten mit Heliopolis, Memphis und Hermopolis. Es handelt sich jedoch nicht um konkurrierende lokale Systeme, sondern eher um unterschiedliche Erklärungsansätze, die als Ausdruck einer komplexen Geisteswelt verstanden werden müssen. Sie sind insofern für den rituellen Alltag relevant, als die Kräfte der Weltschöpfung auch zur Überwindung des Todes aktiviert wurden.

Die meisten Kosmogonien sind erst relativ spät explizit dargestellt, beruhen aber sicher auf älterem Gedankengut. Eine chronologische Entwicklung der Konzepte kann aber erst ab der Spätzeit sicher beschrieben werden. Allen Kosmogonien zu eigen ist die Vorstellung eines aus dem Urwasser auftauchenden Urhügels – als Verkörperung des Chaos, das alles Potential birgt. Die eigentliche Schöpfung markiert also nicht die Schaffung der Materie an sich, sondern den Beginn des Werdens und Veränderns. Sie ergibt sich aus unterschiedlichen generativen Prinzipien:

Die heliopolitanische Kosmogonie fokussiert auf den Sonnengott in seiner Gestalt als Atum, der sich auf dem Urhügel manifestiert, um dann Schu (Luft) und Tefnut (Feuchtigkeit) aus sich selbst heraus zu generieren, welche wiederum die nächsten Göttergenerationen zeugen, bis insgesamt eine Neunheit entstanden ist (körperliche Zeugungs-Option).

Die memphitische Kosmogonie hingegen nimmt den lokalen Schöpfergott Ptah als Ursprung aller Dinge, der mit Geist und Sprache Atum und alles Darauffolgende schafft (Lehre von Logos – “kreative Rede” eines Gottes als Ursprung aller Dinge).

Die hermopolitanische Kosmogonie ist weitgehend aus Textzeugnissen anderer Orte bekannt. In ihr wird die Schöpfung mit einer Achtheit assoziiert, vier Götterpaaren, die die “ursprünglichen”, d.h. unkontrollierten/negativen Aspekte des Urkosmos verkörpern. Im Gegensatz zur heliopolitanischen Neunheit stehen sie weniger für eine politische Ordnung als für eine grundlegende materielle Struktur. Der seit der 5. Dyn. belegte Name Xmnw – Achtstadt – gibt dabei einen Hinweis darauf, wie weit die Vorstellung der Ur-Achtheit zurückgehen mag. Des Weiteren ist Thot üblicherweise kein Element der hermopolitanischen Kosmogonie.

Literatur:

  • LdÄ III (1980) 747–756, s. v. Kosmogonie (Ph. Derchain)
  • F. Hoffmann, Einleitung, in: R. Diaz – M. Flossmann-Schütze – F. Hoffmann (Hrsg.): Antike Kosmogonien, Weltentstehung und Theologie von Hermopolis Magna I, Tuna el-Gebel 9 (Vaterstetten 2019) 1–14
  • H. Kees, Der Götterglaube im Alten Ägypten (Berlin 1987) 305–315
  • B. McClain, Cosmogony (Late to Ptolemaic and Roman Periods), in J. Dieleman – W. Wendrich (Hrsg.), UCLA Encyclopedia of Egyptology (Los Angeles 2011) [Online edition abgerufen am 10.04.2024]
  • R. Wilkinson, Die Welt der Götter im Alten Ägypten. Glaube, Macht, Mythologie (Stuttgart 2003) 16–19
  • Ch. Zivie-Coche – F. Dunand, Die Religionen des Alten Ägypten (Stuttgart 2013) 213–252
  • Quellenkompilation: S. Sauneron – J. Yoyotte, La naissance du monde selon l’Egypte ancienne, Sources orientales 1 (Paris 1959)