von Michael Berndl
Die Stadt Antinoopolis wurde am 30. Oktober 130 n. Chr. von Kaiser Hadrian am Ostufer des Nils, etwa 9 km Luftlinie von Hermopolis Magna entfernt, gegründet. Die Namensgebung der Stadt erfolgte zu Ehren eines Jünglings namens Antinoos aus Klaudiopolis in Bithynien, der im Gefolge Hadrians während dessen Ägyptenreise im Jahr 130 n. Chr. unter mysteriösen Umständen im Nil verstarb. Bereits in der Antike gab der Tod des vermeintlichen Liebhabers Hadrians Anlass zu verschiedenen Hypothesen über die Todesur-sache, darunter Unfall, Suizid oder gar ritueller Opfertod (siehe SHA Hadrian. 14,5-7, Cass. Dio 69,11,3, Aur. Vict. Caes. 14,7).
Doch die Gründung von Antinoopolis wird nicht ausschließlich auf den Tod von Antinoos zurückgeführt. Die Forschung nimmt an, dass Hadrian auch strategische Pläne verfolgt haben könnte, wie eine Stärkung griechischer Einflüsse auf die lokale Bevölkerung Mittelägyptens oder die Errichtung eines administrativen Zentrums. So ließ er die Stadt im Stil einer griechischen Polis auf den Überresten der Stadt Besa erbauen, in der sich ein großer Tempel von Ramses II aus dem Neuen Reich befand. Sie war nach dem Hippodamischen Schema angelegt, an dessen Hauptstraße Säulenhallen verliefen, und beherbergte zahlreiche Bauwerke wie Prachttempel, einen Triumphbogen am Nil und weitere Strukturen außerhalb der Stadt, wie Bäder, einen Circus und ein Gymnasion. Womöglich fand auch Antinoos in einem großen Mausoleum in der Stadt seine letzte Ruhestätte. Administrativ orientierte sich Hadrian an der ägyptischen Griechenstadt Naukratis dessen Gemeindeverfassung er übernahm (Epiph. anc. 106,9). Außerdem versah er die neue Bürgerschaft, die sich aus Siedlern aus griechischen Städten in Ägypten, Bewohner der Metropoleis und Kriegsveteranen zusammensetzte, mit Privilegien, wodurch sich die die Stadt zu einem Kulminationspunkt von sogenannten “Neu-Hellenen” entwickelte.
Antinoopolis erlangte in vielfacher Hinsicht große Bedeutung: Auf kultureller Ebene durch die Einführung der Festspiele der megala Antinoeia sowie des Kultes für Osiris-Antinoos, auf wirtschaftlicher Ebene durch die Errichtung der Via Hadriana, die Antinoopolis mit Berenike am Roten Meer verband (I. Pan du désert 80), und auf politischer Ebene als Antinoopolis zur Hauptstadt einer von Kaiser Diokletian 297 neu geschaffenen Provinz namens Thebaïs ernannt wurde. Die genaue Rolle der Stadt in der Region Hermopolites und ihr Verhältnis zu Hermopolis bleiben aber aufgrund der Quellenlage unklar. Teile der Forschung nehmen an, dass trotz der geografischen Nähe zunächst wohl Verschlossenheit zwischen der griechischen Stadt Antinoopolis und der altägyptischen Stadt Hermopolis bestand, dass die Städte allerdings durch eine allmähliche “Enthellenisierung” von Antinoopolis im Laufe der Jahrhunderte und durch ihre geografische Nähe zwangsläufig bedeutenden ökonomischen und kulturellen Einfluss aufeinander hatten.
Literatur:
- A. Birley, Hadrian. Der rastlose Kaiser (Mainz am Rhein 2006)
- A. Free, Antinoopolis. Eine griechische Stadt im römischen Ägypten, in: K. Gabler – A. Verbovsek – S. Bickel – E. Hemauer (Hrsg.), Formen kultureller Dynamik. Impuls, Progression, Transformation, BAJA 10 (Wiesbaden 2021) 105–114
- J. Fündling, Kommentar zur Vita Hadriani der Historia Augusta, Antiquitas 4 (Bonn 2006)
- C. P. Jones, New Heroes in Antiquity. From Achilles to Antinoos (Cambridge, MA 2010)
- E. Kühn, Antinoopolis. Ein Beitrag zur Geschichte des Hellenismus im römischen Ägypten. Gründung und Verfassung (Göttingen 1913)
- M. Malouta, Antinoopolis and Hermopolis. A Tale of Two Cities, in: P. Schubert (Hrsg.): Actes du 26e Congrès International de Papyrologie. Genève. 16–21 août 2010 (Geneva 2012) 463–469
- H. Meyer (Hrsg.), Der Obelisk des Antinoos. Eine kommentierte Edition (München 1994)
- P. Schubert, Antinoopolis: pragmatisme ou passion?, CdE 72 Fasc.143, 1997, 119–127
- M. Zahmt, Antinoopolis in Ägypten. Die hadrianische Gründung und ihre Privilegien in der neueren Forschung, in: W. Haase – H. Temporini (Hrsg.): Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Teil 2 Principat X, 1 (Berlin 1988) 696–706