von Korbinian Ring
Die Achtheit von Hermopolis und ihre Geschichte ist eine der großen Lokalkosmogonien des Neuen Reiches. Acht Urgottheiten – vier Männer mit Schlangenköpfen und vier Frauen mit Froschköpfen, die jeweils paarweise auftreten – verkörpern den chaotischen Urzustand des Kosmos. Inmitten dieses Zustands steigt am Anfang der Dinge ein Stück Land aus dem Urmeer empor, das als Urhügel bezeichnet wird. Auf ihm lassen die Acht ein Ei entstehen, dem der Sonnengott Re-Harachte – er kann auch durch Schepsi ersetzt werden – zunächst als “großer Schnatterer” entsteigt. Er beginnt sein Schöpfungswerk und der Urzustand ist überwunden. In andere Varianten wiederum entsteht er auf einer dem Urgewässer erwachsenen Lotosblüte, alternativ passiert dies einem Skarabäus, der sich in einen jungen Mann verwandelt, aus dessen Tränen dann die Menschheit entsteht.
Die Vorstellung, dass die Welt beginnt, wenn sich fruchtbares Land aus dem Wasser erhebt, ist von den jährlichen Nilfluten geprägt. Die Weltentstehung auf einem Urhügel wiederum ist eng mit der lokalen Topographie verbunden. Die Karte von Hermopolis in der Description de l’Égypte zeigt eindrücklich die zahlreichen Hügel, die über der Ebene aufragen.
Die vier Götterpaare der Achtheit sind unterschiedlich zusammengesetzt. Die ersten drei Paare sind stets Nun und Naunet (das Urmeer), Huh und Hauhet (die räumliche Endlosigkeit) und schließlich Kuk und Kauket (die Urfinsternis). Als viertes Paar werden in verschiedenen Quellen Gereh und Gerhet (der Mangel), Niau und Niaut (das Nichts) oder Tenem und Tenemut (das Verschwinden) genannt – ab dem Neuen Reich werden sie meist ersetzt durch Amun und Amaunet (die Verborgenheit). Das vierte Paar steht also in jedem Fall für ein Negativum, die große Leere. Urmeer, Endlosigkeit, Urfinsternis und Leere bilden zusammen den Urzustand, der von der Achtheit verkörpert wird.
Literatur:
- Bonnet 3(2000) 5–6 s. v. Achtheit (H. Bonnet)
- M. Biloo, Les Cosmo-Theologies Philosophiques d’Heliopolis et d’Hermopolis. Essai de thématisation et de systématisation, Travaux de l’Académie de la Pensée Africaine 1, 2 (Kinshasa 1986)
- L. Medini, La mythologie de la XVe province de Haute Égypte aux époques hellénistique et romaine. Recherches de géographie religieuse, Weltentstehung und Theologie von Hermopolis Magna IV, Tuna el-Gebel 13 (Vaterstetten 2021)
- S. Morenz – J. Schubert, Der Gott auf der Blume. Eine ägyptische Kosmogonie und ihre weltweite Bildwirkung (Ascona 1954)
- H. A. Schlögl, Der Sonnengott auf der Blüte. Eine ägyptische Kosmogonie des Neuen Reiches, Aegyptiaca Helvetica 5 (Genf 1977)
- K. Sethe, Amun und die acht Urgötter von Hermopolis. Eine Untersuchung über Ursprung und Wesen des ägyptischen Götterkönigs, Abhandlungen der Preussischen Akademie der Wissenschaften Jahrgang 1929. Philosophisch-Historische Klasse Nr. 4 (Berlin 1929)